DFG-gefördert: KI identifiziert Nervenzellen zuverlässig

Darstellung der neuronalen Vernetzungen des Gehirns.
Bild: AdobeStock_705516847_Nelson

Informatiker der FAU unterstützen Neuroforschung – 320.000 Euro für neues Projekt

Neuronen im Hippocampus steuern unser räumliches Lernen, sind selbst jedoch sehr instabil. Forschende der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und des Leibniz-Instituts für Neurobiologie (LIN) Magdeburg wollen diese Dynamik in einem Gemeinschaftsprojekt entschlüsseln. Das LIN liefert dafür Zeitrafferaufnahmen aus dem Gehirn von Mäusen, die FAU entwickelt ein Tool für die KI-gestützte Auswertung der Bilder. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert, die FAU erhält 320.000 Euro.

Der Hippocampus ist Teil des limbischen Systems unseres Gehirns. Er steuert die Speicherung von Informationen im Langzeitgedächtnis und ist auch für das räumliche Lernen zuständig. Die entsprechenden Signale werden von Gitterzellen verarbeitet, die zu den Ortungszellen gehören. „Ortungszellen besitzen zahlreiche Dornfortsätze, die Signale verarbeiten und weiterleiten“, erklärt Prof. Dr. Andreas Kist, Spezialist für biomedizinische Signalanalyse an der FAU. „Interessanterweise ist diese Struktur hochgradig instabil – sowohl die Form als auch die Zahl der dendritischen Dornen verändert sich permanent. Das widerspricht im Grunde ihrer Funktion, nämlich räumliche Orientierung im Langzeitgedächtnis zu verankern. Wir würden eher gleichbleibende Strukturen erwarten.“

KI-Tool erfasst Dendriten im Zeitverlauf

Porträts von Alessio Attardo vom Leibniz-Institut für Neurobiologie (links) und Andreas Kist von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU)
links: Alessio Attardo vom Leibniz-Institut für Neurobiologie (Foto: Reinhard Blumenstein) und rechts: Andreas Kist von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Foto: FAU/Georg Pöhlein)

Wie es den Ortungszellen dennoch gelingt, stabile synaptische Verbindungen zu schaffen, untersucht Andreas Kist gemeinsam mit Dr. Alessio Attardo vom Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN). Die Magdeburger Forschenden scannen das Gehirn von Mäusen, die verschiedene Orientierungsaufgaben lösen müssen. Dabei werden die Ortungszellen mit einem Zwei-Photonen-Mikroskop aufgenommen und ihre Aktivität im Zeitverlauf dargestellt. „Diese Bilder auszuwerten, ist eine gewaltige Herausforderung“, sagt Kist. „Wir haben nicht nur einen riesigen Datensatz von mehreren Tausend Aufnahmen. Es ist für das menschliche Auge auch enorm schwierig, Zellen und Dendriten zuverlässig zu erfassen und wiederzuerkennen. Nur so aber können wir valide Aussagen über ihre Funktion und Interaktion treffen.“

Momentaufnahmen aus dem Gehirn

Die FAU wird deshalb ein KI-gestütztes Tool beisteuern, das die eindeutige Identifikation der dendritischen Dornen ermöglicht. Das Werkzeug wird auf Deep3D basieren, einer von Andreas Kist und dem Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz entwickelten Anwendung, die der Neuroforschung bereits als Open-Source-Programm zur Verfügung steht. Kist: „Mit Deep3D können Momentaufnahmen bereits sehr gut analysiert werden, dynamische Prozesse lassen sich damit jedoch noch nicht verfolgen.“ Im Rahmen des Forschungsprojektes will Kist das neue Deep-Learning-Programm mit Aufnahmen trainieren, die ihrerseits mit KI generiert wurden, was den personellen und zeitlichen Aufwand erheblich reduziert. „Die KI soll lernen, die Struktur der Nervenzellen zu beschreiben und einen spezifischen Fingerabdruck für jeden einzelnen Dornfortsatz zu erstellen. So wird es möglich sein, Zellen und Dendriten eindeutig zuzuordnen, auch wenn sie ihre Position ändern oder die Aufnahme aus einem anderen Winkel erfolgt.“

Werkzeug soll auch für andere neuronale Prozesse nutzbar sein

Dendritische Zellen mit Dornfortsätzen
Die Dornfortsätze (grün) an den Fortsätzen von Nervenzellen, sogenannte Dendrite, (magenta) unseres Hirns spielen eine wichtige Rolle in unserer Wahrnehmung und Sinnesverarbeitung, beispielsweise bei der räumlichen Orientierung. Sowohl die Form als auch die Zahl dieser Dornen verändert sich permanent, was es schwierig macht dynamische Prozesse zu beobachten und zu verfolgen. Hier hilft künstliche Intelligenz, die Dendrit und Dornfortsätze markiert und so die Grundlage für komplexe zeitliche Beobachtungen und Berechnungen schafft. Bild: Andreas Kist/Martin Fernholz

Die Forschenden aus Erlangen und Magdeburg versprechen sich neue Erkenntnisse über die Konnektivität und Funktionsweise der Ortungszellen – insbesondere darüber, wie ihnen trotz hoher Dynamik eine stabile Informationsverarbeitung gelingt. Kist: „Idealerweise lässt sich unser Tool auch für die Erforschung anderer neuronaler Prozesse nutzen, denn dynamische Prozesse an Dornfortsätzen beschränken sich keineswegs auf den Hippocampus.“

Das Projekt wird von der DFG mit insgesamt 500.000 Euro gefördert, 320.000 Euro entfallen auf die FAU. Mit der Summe wird in Erlangen eine Doktorandenstelle für einen Zeitraum von drei Jahren finanziert. Die Förderung ist ein weiterer Beleg für die besondere Expertise der FAU als Innovationsstandort und Knotenpunkt für Künstliche Intelligenz in der Medizin. Die Professur von Andreas Kist wurde am Department Artificial Intelligence in Biomedical Engineering (AIBE) eingerichtet. Das AIBE ist Ende 2019 im Rahmen Hightech Agenda Bayern entstanden und arbeitet interdisziplinär und fachübergreifend an der Schnittstelle zwischen Medizin und Ingenieurwissenschaften.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Andreas Kist
Professur für Artificial Intelligence in Communication Disorders
andreas.kist@fau.de